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Adventsbesuch mit Bademantel

Es tut mir leid, aber würdest du noch ein paar Stunden warten? 

Sage ich zum Advent, als dieser heute früh mit Kranz und Kerzen an der Tür steht.

Es ist noch stockdunkel, ich habe Kopfweh und nichts ist vorbereitet. Außerdem stehe ich im Bademantel und Schlappen im dunklen Flur, so ist man doch nicht bereit für den Advent.

Und das mit der Vorfreude - ich weiß gar nicht, ob ich die dieses Jahr noch wieder finde. Das Jahr hat nicht nur mir ein paar ordentliche Haken verpasst, von denen habe ich mich noch nicht erholt, ich hab emotionale Schlagseite. Am liebsten würde ich Weihnachten überspringen, direkt vorspulen bis Silvester, alles auf Anfang stellen.

Nein, das geht nicht, sagt der Advent, kuckt ein bisschen verwundert und zieht die Schultern hoch.

Ich wickele mich fester in meinen Bademantel. Er ist alt und rosa mit verblichenen Sternen drauf.

Kann ich nicht diesen ersten Advent auslassen und nächste Woche kommt dein Kollege Nummer zwei? Versuche ich es noch einmal. Dann ist hier auch aufgeräumt und ich habe Kekse.

Mit einem freundlichen Lächeln schüttelt der Advent den Kopf, schiebt sich an mir vorbei und geht schnurstracks ins Wohnzimmer.
Steuert den Esstisch an, auf dem noch die Gläser von gestern Abend stehen und andere Dinge, die ich schon lange wegräumen wollte.

Wenn Du ein Streichholz für mich hast, das wäre schön. Um den Rest kümmere ich mich, sagt er.

Ich bleibe unsicher und mit zerzausten Haaren in der Wohnzimmertür stehen, die Hände in den Taschen des Bademantels vergraben.

Schaue zu, wie ohne viele Umstände mein Chaos zur Seite geräumt und der Kranz aus grünen Tannenzweigen mit vier dicken roten Kerzen geschmückt wird. Eigentlich mag ich lieber weiße Kerzen, aber ich halte den Mund.

 

Streichholz? Fragt der Advent erneut.
Ich tappe  zur Kommode neben dem Sofa und krame in den Schubladen. Ladekabel, Fotos ohne festen Wohnsitz, angebrochene Schokolade, Notenhefte…und da sind auch ein paar Streichhölzer.

Der Advent schafft es beim dritten Anlauf, eines davon anzuzünden, die Schachtel ist alt und die Streichhölzer sind brüchig.

 

Und dann brennt die erste Kerze.

Mitten in meinem Chaos, mit kleiner, noch wackeliger Flamme.

Das dunkle Wohnzimmer bekommt einen winzigen Lichtpunkt, der sich nach und nach ausbreitet, und es beginnt zu duften. 

Nach Tannengrün, nach Kerzen, nach Möglichkeiten.

Der Advent, schon halb aus der Tür, reicht mir noch eine Mandarine.

Vielleicht besorgst du dir demnächst ein paar neue Streichhölzer, sagt er und zieht davon.

 

 

 

 

Dieser Text entstand im Rahmen eines Schreibexperiments mit der Autorin Susanne Niemeyer.

https://www.freudenwort.de/

 

 

 


 

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Kommentare: 3
  • #3

    Marion (Sonntag, 03 Dezember 2023 21:48)

    Wie wunderbar ✨

  • #2

    Ulli (Sonntag, 03 Dezember 2023 17:15)

    Der Text ist wunderschön. So ergeht es mir meistens jedes Jahr, obwohl schon geschmückt ist. Dieses Jahr konnte ich mal dem ersten Advent mit besserer Empfangsbereitschaft entgegen kommen. Nina, Christina und ich haben ihn gemeinsam, gestern Abend im Gottesdienst im Hamburger Mariendom, begrüßt und anschließend mit einem netten Abendessen ausklinken lassen. Tat gut.

  • #1

    Kirsten (Sonntag, 03 Dezember 2023 16:20)

    Wunderschöne Worte