Route: Dänische Grenze - Kiel
Playlist: Auto-Mix Chill mit Funk
Long time no see!
War aus Gründen länger auf den Fahrersitz verbannt und hatte - logisch - keine Hand frei zum tippen.
Inzwischen muss ich nicht mehr dauernd Taxi spielen und kann mal wieder während der Fahrt aus dem Fenster chillen (und die Playlist manipulieren!).
Auf den letzten sommerlichen Sonnenstrahlen rollen wir raus aus dem September, hinein in den Herbst.
Die ersten Maisfelder tragen Stoppel-Look, und ich meine neuen Wanderboots, für die es noch ein bisschen zu warm ist.
Egal. Ich hab Talent für die falsche Klamotte und bin wahlweise zu dünn oder zu dick angezogen. Gelegentlich anrollende Meno-Hitzewellen machen das ganze nicht einfacher, aber immerhin bibbere ich nicht mehr so schnell bei kühleren Temperaturen.
Außerdem habe ich ganz von allein und ohne Einsatz des Rougepinsels einen rosigen Teint.
Wir tuckern durch die hügelige Landschaft Richtung Süden und lassen Schleswig links liegen, obwohl es uns verlockend über das glitzernde Wasser der Schlei hinweg zublinzelt. Auch an Haithabu rollen wir heute vorbei, der alten Wikingersiedlung am Haddebyer Noor.
Die Gegend hier benimmt sich wie gemalt, wenn man über den Damm zwischen den beiden Nooren fährt.
Rechts und links aufgekratztes Wasser, Segel, wogendes Schilf. Zuckerwattewölkchen schweben im Himmelhoch, Möwen lassen sich vom Wind hin und her werfen und verspotten dabei kreischend Gott und die Welt.
Zwischen unseren Autositzen hängt trotz der fabelhaften Kulisse eine kleine Betrübnis herum. Vermutlich haben wir sie aus dem Pflegeheim mitgeschleppt.
Jedesmal, wenn wir bei der gebrechlichen Schwiegermutter zu Besuch sind, ist sie wieder ein Stückchen mehr geschwunden.
Die Haut dünner, durchsichtig wie Pergamentpapier. Die Schritte mühsamer, die Hände, die Augen, die Knochen, alles ohne Kraft.
Und dann - wenn wir durch die Tür kommen - Freude pur, wie wenn Weihnachten wäre.
Wir packen den Einkaufskorb aus. Waffelmischung, Haribo, Flips, Revolverblätter, Rätselhefte.
Die dünnen Hände rudern durch die Luft, klatschen, kramen im Korb, fischen die Lakritze heraus.
„Kinder, ach neee, wie schöööön!!“
Ein Piccolöchen später will die alte Dame, die gerade noch des Lebens so müde war, auf jeden Fall hundert werden.
Wir prosten ihr zu, lachen tapfer und haben ein bisschen Angst vor dieser Zahl.
...
Auf dem Heimweg. Zwischenstopp Eckernförder Bucht. Wir parken am Südstrand und gehen ein Stück am Meer entlang.
Der stürmische Wind trägt die Trübnis davon und ich denke: Verflixt, eine Mütze wäre gut gewesen.
Zu Hause. Kurz vor siebzehn Uhr.
Im Pflegeheim gibt es jetzt Abendbrot. Lauwarmer Tee, dünne Brotscheiben und Käseaufschnitt.
Helfende Hände werden Teller zurecht machen und Verschüttetes aufwischen.
Schwester Nina und ihre Kolleg*innen in den rosa Kasacks werden Rollstühle an ihre Plätze schieben. Sie werden Tassen auffüllen, Lätzchen knoten und sehr laut in sehr schwerhörige Ohren sprechen:
„Schön runterschlucken, Frau Berg!“ Frau Berg vergisst nämlich manchmal wie das geht, das Kauen und das Runterschlucken.
Und sie werden, wie jeden Tag, dem Vergessen ein Schnippchen schlagen, das mit an den Tischen sitzt und den alten Menschen ihre Erinnerungen stiehlt.
„Na,“ wird Schwester Nina vielleicht sagen und der Schwiegermutter die Tüte mit der Waffelmischung über den Tisch schieben. „Das ist ja lecker, was ihr Sohn ihnen heute mitgebracht hat!“
Und die Schwiegermutter wird vielleicht noch einen Fitzel zu fassen bekommen von der Erinnerung an den Vormittag.
Als Besuch da war mit Lakritz und Piccolo.